Unterlüß

KZ und Zwangsarbeit in Unterlüß

1847 wurde die Bahnstrecke Hannover–Hamburg gebaut und der Bahnhof Unterlüß angelegt. In der Folge entstand eine Siedlung am Bahnhof. 1899 legte die Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik AG in der Nähe einen Schießplatz an, ein erster Fabrikkomplex entstand. Dadurch wurde die Siedlung 1910 zu einer selbstständigen Gemeinde. Im Ersten Weltkrieg wurden französische Kriegsgefangene bei Rheinmetall eingesetzt.

Im Zuge der Aufrüstung der Wehrmacht wurde das Werk ab 1934 erweitert. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 wurden polnische Zwangsarbeiter*innen im Rheinmetall-Borsig-Werk eingesetzt, nach 1941 auch sowjetische Zwangsarbeiter*innen. 1944 wurden ungarische Jüdinnen durch Rheinmetall-Borsig in einem Außenlager Unterlüß des KZ Bergen-Belsen in der Produktion beschäftigt.

Im Sommer 1944 arbeiteten fast sechs Millionen zivile ausländische Arbeiter*innen aus 26 europäischen Ländern im Deutschen Reich. Allein im Landkreis Celle arbeiteten zwischen 1939 und 1945 insgesamt über 22.000 Kriegsgefangene und Zivilarbeiter*innen. Davon Tausende in der Rüstungsindustrie bei Rheinmetall-Borsig AG in Unterlüß, in der Lufthauptmunitionsanstalt Hambühren, in der Heeresmunitionsanstalt Scheuen, in der Luftmunitionsanstalt Höfer und im Marinesperrzeugamt Starkshorn. Weitere Ausländer*innen kamen in der Kieselgurindustrie in Oberohe und Neuohe nahe Unterlüß, in der Erdölindustrie in Nienhagen und Wietze und in den Kalischächten von Wathlingen, Höfer und Habighorst zum Einsatz.

Im "Lexikon der Wehrmacht" ( http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Kasernen/Wehrkreis11/KasernenUnterluess-R.htm ) findet sich dieser Eintrag: Standort Unterlüß
Die Gemeinde Unterlüss liegt im Landkreis Celle in Niedersachsen.
Kommandobehörden / Dienststellen: Flugplatz-Kommando 29/XI
Einrichtungen: Arbeits- und Erziehungslager der SS, Außenlager des KZ Bergen-Belsen - Arbeiten bei Rheinmetall

1939 hatte Unterlüß 2.500 Einwohner*innen, 1945 waren es 8.200 - damit hatte sich durch die Zwangsarbeit die Einwohner*innenschaft mehr als verdreifacht. In Unterlüß waren zwischen 1939 und 1945 4015 ausländische Zwangsarbeiter*innen registriert. Sie kamen aus Polen (2230), aus der Sowjetunion (1002), aus Jugoslawien (506), aus Frankreich (160), aus Belgien (86), aus den Niederlanden (19) und aus weiteren Ländern (12). Damit war Unterlüß während des Krieges der Ort mit den meisten gemeldeten ausländischen Zwangsarbeiter*innenn im Kreis Celle.

Die meisten Männer und Frauen mußten im Rheinmetall-Borsig AG Werk Unterlüß arbeiten.
Rheinmetall-Borsig war der Betrieb mit dem größten Anteil an ausländischen (Zwangs-)Arbeiter*innen im Deutschen Reich.

Rheinmetall-Brief
Schreiben der Firma Rheinmetall-Borsig an die Gemeinde Unterlüß, 29. Januar 1945. KZ-Häftlinge erhielten keinen Lohn. Die Firmen, die KZ-Häftlinge einsetzten, zahlten dafür Entgelte an die SS. Darüberhinaus mussten sie damit verbundene Steuern an die zuständige Gemeinde abführen. (Gemeinde Unterlüß)
Brief von Rheinmetall-Borsig

Die Zwangsarbeiter*innen waren in verschiedenen Lagern untergebracht. Ein „Männerlager“ befand sich auf dem Sportplatz an der Neuensothriether Straße; u.a. waren dort zeitweise italienische,später auch polnische Zwangsarbeiter untergebracht. Ein „Frauenlager“ befand sich Am Tielemannsort unweit des Gemeindefriedhofes. Ein weiteres „Polenlager“ lag zwischen dem alten Ortskern und dem Schießplatz.

Außer diesen Lagern gab es auf dem Gelän- de der Rheinmetall-Borsig weitere Lager. Ein „Arbeitserziehungslager für Männer“, das der Gestapo unterstand, wurde am 4.11.1941 eingerichtet, vermutlich gegenüber dem „Männerlager“ am Sportplatz im südlichen Zipfel des Schießplatzes. Es bestand bis zum 1. April 1945. Das von der SS bewachte KZ-Au- ßenlager Tannenberg für Frauen befand sich im südwestlichen Zipfel des Schießplatzes. Ebenfalls auf dem Gelände von Rheinmetall-Borsig war ein Kriegsgefangenenarbeitskommando aus dem Stalag XI B Fallingbostel zur Zwangsarbeit eingesetzt. Sowjetische Kriegsgefangene aus dieses Stalag arbeiteten auch beim Forstamt Unterlüß sowie bei der Fa. Boswau & Knauer AG.

Bei zwanzig weiteren Firmen in Unterlüß wur- den Zwangsarbeiter*innen eingesetzt, überwiegend bei Bauftrmen und Holzhandlungen. Ein „Gemeinschaftslager“ lag in Hohenrieth am Schießplatz; ein weiteres Lager, in dem Niederländer untergebracht waren, lag an der Hermannsburyer Straße.

Liste der Lager in Unterlüß


Unterlüß: Konzentrationslager und Zwangsarbeit

aus: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945

Auf dem Gemeindefriedhof Unterlüß. befinden sich drei Sammelgräber mit Gedenksteinen. Ein Gedenkstein erinnert an vier Italiener und 23 polnische Kinder; ein zweiter an 16 Russen, 19 Polen, 3 Serben, 1 Kroaten, 1 Franzosen und 11 Unbekannte. Ein dritter Gedenkstein auf einer von einer Hecke umgebenen Grabfläche trägt die Inschrift: ,,Hier ruhen 34 Russen-Kinder 1941-1945".
Die Gemeinde, um Auskunft gebeten, antwortet: ,,Bekannt ist, dass reine Männerlager in der Müdener Straße waren, in denen seinerzeit dienstverpflichtete Deutsche, später auch Kriegsgefangene gewohnt haben. In den übrigen Lagern waren Italiener, Jugoslawen, Serben und Polen untergebracht. Über die verschiedenen Lager sind keine Unterlagen mehr vorhanden ... " Im übrigen verweist sie auf die Gräberliste.

Auf die Frage nach den Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Menschen, nach der Art der Arbeit, nach dem Schicksal der 57 toten Kinder gibt diese Liste keine Auskunft.

Doch es geht aus ihr hervor, dass auf diesem Ehrenhain nicht nur 44 erwachsene Ausländer begraben sind, wie die Gedenksteine angeben, sondern dass hier 62 namentlich bekannte erwachsene Ausländer, unter ihnen auch · Niederländer, ruhen. Bei den „11 Unbekannten" handelt es sich ebenfalls um Ausländer, die am 11. Juli 1945 tot in Unterlüß aufgefunden worden sind. Unter den namentlich bekannten befinden sich auch acht Frauen, jedoch nur ein polnisches Kind, das 1948 in Unterlüß starb. Die 57 polnischen und sowjetischen Kinder, an die die Gedenksteine erinnern sollen, sind in dieser Gräberliste nicht zu finden.

Doch es gibt noch ein älteres „Verzeichnis aller ausländischen Staatsangehörigen, die seit 1939 in der Gemeinde Unterlüß verstorben sind". Darin sind die Namen und Lebensdaten von 62 russischen, polnischen und jugoslawischen Kindern enthalten, die alle noch im Säuglingsalter in Unterlüß starben. Das erste dieser Kinder, ein russisches Mädchen, starb im Alter von 20 Tagen am 24.8.1943 .
Ferner enthält diese Liste die Namen und Lebensdaten von 56 ausländischen Zivilarbeitern, die in Unterlüß gestorben sind, jedoch nur zum Teil mit den in der Gräberliste aufgeführten Ausländern identisch sind.
Das Nachforschen nach dem Schicksal der Kinder führte zunächst zum Standesamt und schließlich zum Rüstungskonzern Rheinmetall-Borsig.

In Unterlüß waren zwischen 1939 und 1945 4015 ausländische Zwangsarbeiter registriert. Sie kamen aus Polen (2230), aus der Sowjetunion ( 1002), aus Jugoslawien (506), aus Frankreich (160), aus Belgien (86), aus den Niederlanden (19) und aus weiteren Ländern (12). Damit war Unterlüß während des Krieges der Ort mit den meisten gemeldeten ausländischen Zwangsarbeitern im Kreis Celle. Die meisten von ihnen, Männer wie Frauen, mussten im Rüstungskonzern Rheinmetall-Borsig AG Werk Unterlüß arbeiten.

Die Rheinmetall-Borsig, noch heute größter Arbeitgeber in Unterlüß, liegt in Tielemannsort zwischen der Bahnstrecke Celle-Uelzen und der westlichen Bahnabzweigung, die direkt zum Schießplatz der Rheinmetall führt.

Skizze Lager IIDie Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen waren in verschiedenen Lagern untergebracht.
Ein „Männerlager", auch ,,Männerlager 111" genannt, befand sich auf dem Sportplatz an der Neuensothriether Straße; u.a. waren dort zeitweise italienische, später auch polnische Zwangsarbeiter untergebracht.

Ein „Frauenlager", auch „Frauenlager 11" genannt, befand sich Am Tielemannsort unweit des Gemeindefriedhofes.

Ein weiteres „Polenlager" lag zwischen dem alten Ortskern und dem Schießplatz. Heute befindet sich hier der Dorfplatz.

Unklar ist, was unter „Baracke IV", auch „Lager IV" genannt, zu verstehen ist. Beide Bezeichnungen werden immer ohne weitere Angaben z.B. über Belegstärken oder Nationalitäten genannt.
Möglicherweise wurde mit „Baracke IV" jene ,,Entbindungsstation" und „Unterkunft für stillende Ostarbeiterinnen" bezeichnet, die einzurichten·im November 1943 zwischen der Rheinmetall, dem Gauarbeitsamt Celle und dem Regierungspräsidenten in Lüneburg vereinbart wurde und die in der unmittelbaren Nähe des „Frauenlagers" am Tielemannsort lag.

Grundlage für diese Vereinbarung war der Erlass des Reichsführers SS vom 27. Juli 1943, betr. ,,Behandlung schwangerer ausländischer Arbeiterinnen und der im Reich von ausländischen Arbeiterinnen geborenen Kinder“

  1. Ausländische Arbeiterinnen sind wegen eingetretener Schwangerschaft bis auf weiteres nicht mehr in die Heimat zurückzuführen. Für diese Regelung sind dringende arbeitseinsatzmäßige Erfordernisse maßgebend. Alle entgegenstehenden Weisungen (einschließlich insbesondere der für Polinnen und Ostarbeiterinnen ergangenen) werden hiermit aufgehoben.
    Nach der Entbindung werden die ausländischen Arbeiterinnen gemäß den Anordnungen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz baldmöglichst der Arbeit wieder zugeführt.

  2. Die Entbindungen sollen gemäß Weisung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und des Reichsgesundheitsführers tunlichst in besonderen Abteilungen der Krankenreviere in den Wohnlagern oder den Durchgangslagern stattfinden. Die Aufnahme in eine Ausländer-Krankenbaracke bei einem deutschen Krankenhaus oder ganz ausnahmsweise in eine deutsche Krankenanstalt kommt nur beim Vorliegen von Regelwidrigkeiten in Frage oder bei der Notwendigkeit, für die Ausbildung von Studenten oder Hebammen-Schülerinnen das Untersuchungsgut zu schaffen.

  3. Die von den ausländischen Arbeiterinnen geborenen Kinder dürfen auf keinen Fall durch deutsche Einrichtungen betreut, in deutsche Kinderheime aufgenommen oder sonst mit deutschen Kinder gemeinsam aufwachsen und erzogen werden. Daher werden in den "Unterkünften besondere Kleinkinderbetreuungseinrichtungen einfachster Art - ,,AusländerkinderPflegestätte" genannt - errichtet. ... Dies gilt zunächst auch für die Landwirtschaft, in der „Ausländerkinder-Pflegestätten" gegebenenfalls unter Anlehnung an die Ausländerunterkünfte eines Großbetriebes für die Ausländerkinder des gesamten Dorfes zu schaffen sind."

Die vereinbarte „Stillzeit" von 26 Wochen stand nur auf dem Papier. Die meisten Säuglinge starben schon vorher an Unterernährung, mangelnder Pflege und Infektionskrankheiten, da sie als „rassisch minderwertig" keine Lebenschancen erhalten sollten. Bei den Müttern, polnischen, sowjetischen und jugoslawischen Zwangsarbeiterinnen, zählte allein die Arbeitskraft, sie wurden spätestens 16 Tage nach der Geburt wieder in die Munitionsfabriken geschickt. Dabei wurden die Säuglinge wenige Zeit später endgültig von ihren Müttern getrennt. Sie kamen in ,,Ausländerkinderpflegestätten", die es im Kreis Celle in Bergen, Wietze-Steinförde und Nienhagen-Papenhorst
gab.

Von 131 in Unterlüß geborenen und registrierten Kindern starben nach den bisher bekannten Unterlagen mindestens 62 Säuglinge in Unterlüß, 5 Säuglinge, deren Mütter Zwangsarbeiterinnen bei der Rheinmetall-Borsig waren, starben in der „Ausländerkinderpflegestätte" Nienhagen-Papenhorst.

Neben diesen„Zivilarbeiterlagern" gab es auf dem Gelände der Rheinmetall-Borsig weitere Lager. Ein „Arbeitserziehungslager für Männer", das der Gestapo unterstand, wurde am 4.11.1941 eingerichtet, vermutlich gegenüber dem „Männerlager" am Sportplatz im südlichen Zipfel des Schießplatzes. Es bestand bis zum 1. April 1945.
Konzentrationslagerähnlich waren die Bedingungen in einem von SS bewachten Lager für Frauen, das sich im südwestlichen Zipfel des Schießplatzes befand und „Lager Altensothrieth" genannt wurde. Mitte August 1944 kam dorthin ein Transport von jüdischen Frauen, die im Konzentrationslager Auschwitz zur Zwangsarbeit „selektiert" wurden und zunächst in das Konzentrationslager Bergen-Belsen transportiert wurden. Die Ankunft der kahlgeschorenen Frauen wurde von mehreren Zeitzeugen beobachtet.

Altensothrieth bestand nur aus einem einzelnen Heidebauernhof an der Straße von Unterlüß nach Müden/Örtze. Hinter dem Hof, auf dem gegenüberliegenden Ufer der Sothrieth, liegen auf einer Anhöhe links und rechts des Weges die Überreste des Lagers. Westlich sind die Grundmauern einer Baracke und eine Abflussrinne zu erkennen.
Östlich liegen auf einem großen Areal Grundmauern aus Beton, Überreste von Kellern, Kanälen oder Gängen im Erdboden und Betonsockeln von Zaunpfählen. Das ganze Gelände liegt im südwestlichen Zipfel des Schießplatzes. Wegen Explosionsgefahr durch herumliegende Granaten und Munition ist es noch heute durch rot-weiße Pfähle abgegrenzt. Ebenfalls auf dem Gelände von Rheinmetall-Borsig war ein Kriegsgefangenenarbeitskommando aus dem Stalag XI B Fallingbostel zur Zwangsarbeit eingesetzt. Sowjetische Kriegsgefangene aus diesem Stalag arbeiteten auch beim Forstamt Unterlüß sowie bei der Fa. Boswau & Knauer AG. Allerdings liegen weder für Unterlüß noch für andere Orte im Kreis Celle Zahlenangaben über den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen vor.

Bei zwanzig weiteren Firmen in Unterlüß wurden Zwangsarbeiter eingesetzt, überwiegend bei Baufirmen und Holzhandlungen. Wo diese Zwangsarbeiter untergebracht waren, ·konnte noch nicht geklärt werden. Ein ,,Gemeinschaftslager" lag in Hohenrieth am Schießplatz; ein weiteres Lager, in dem Niederländer untergebracht waren, lag an der Hermannsburger Straße: