Interview Junge Welt 8.6.2021

»Davon lassen wir uns nicht einschüchtern«

Nach Blockade von Bundesamt für Ausfuhrgenehmigungen: Hohe Strafen für Protestierende. Ein Gespräch mit Christoph Brandt

Gitta Düperthal
Rund 40 Verfahren sind gegen Aktivistinnen und Aktivisten eingeleitet, die sich an der Besetzung des Bundesamtes für Ausfuhrgenehmigungen und Wirtschaft, kurz BAFA, in Eschborn im Februar 2020 beteiligten, um gegen Rüstungsexporte zu protestieren. Weshalb erhalten so viele Menschen Strafbefehle?

Allein der Vorwurf Hausfriedensbruch ist absurd. In dem Haus gibt es keinen Frieden, den wir brechen könnten: Das Bundesamt bringt Gewalt und Tod unter die Menschen, indem es ständig Rüstungsexporte genehmigt. Weitere Tatvorwürfe sind Nötigung, in einem Fall Rädelsführerinnenschaft. Vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main fanden bereits sechs Prozesse statt, im Juni wird es vier weitere geben, den nächsten an diesem Freitag, dem 11. Juni. Im August geht es weiter. In der Regel wurden Strafbefehle in der Höhe von 40 Tagessätzen á 50 Euro angesetzt, eine ungewöhnlich hoch bemessene Strafe. Wir haben beschlossen, diese nicht zu akzeptieren, und legen Widerspruch ein. Wir wollen so darauf aufmerksam machen, dass die wahren Täter die Verantwortlichen sind, die im BAFA die Entscheidungen treffen.

Bislang aber werden Sie alle mit Gerichtsverfahren überzogen.

Das ist so in der Klassenjustiz. Davon lassen wir uns nicht einschüchtern. Wir begleiten jeden Prozess mit einer Kundgebung, bei der wir weiterhin das Verbrechen kritisieren, deutsche Waffen zu exportieren, die in Krisen- und Kriegsgebieten landen. Hauptabnehmer sind unter anderem die Türkei, Ägypten, Saudi-Arabien, Kolumbien und Israel. Im Rahmen unserer Mobilisierung haben wir zwei weitere Male das BAFA besucht; zunächst im Zusammenhang mit dem Ostermarsch, dann mit einem Tribunal Anfang Mai: Wir erheben Anklage, weil Waffenexporte der Aufstandsbekämpfung dienen und sexualisierte Gewalt integraler Bestandteil von Kriegsstrategien ist. Wir skandalisieren auch die Kriegführung der EU-»Grenzschutzagentur« Frontex gegen Geflüchtete.

Wie sind die aus Ihrer Sicht überhöhten Strafen zu erklären?

Wir hatten ein Bundesamt besetzt, das bisher nahezu reibungslos vor sich hin arbeitete. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Offenbar will man unsere gute Organisierung abstrafen: 100 Leute hatten sich verabredet, das Amt teilweise lahmzulegen, ohne dass zuvor etwas davon verlautbart wurde. Das nimmt man offenbar sehr ernst. Die Geldbußen aller bisher Angeklagten inklusive Anwaltskosten könnten insgesamt auf bis zu 80.000 Euro anwachsen. Da ist Solidarität gefragt. Üblicherweise werden zu Beginn solcher Verfahren die Verhältnisse geklärt, in denen die Angeklagten leben. Obgleich in diesem Fall viele Studierende sind, erfolgte das nicht. Daraus spricht ein besonderer Verurteilungswille. Der Preis soll hochgetrieben werden.

Gibt es rund um das Protestgeschehen weitere Repressionen?

Abgesehen vom Knüppel- und Pfeffersprayeinsatz nach unserer erfolgreichen Aktion 2020 gibt es viele Filmaufnahmen von uns. Jetzt zieht die Polizei im Zusammenhang mit aktuellen linken Demos, die in Frankfurt am Main stattfinden, ständig Leute raus und nimmt deren Personalien auf. Sie gleicht diese mit Bildern von damals ab. So war es etwa beim Ostermarsch, bei einer Fahrraddemo gegen die Coronaauflagen von links, nach Kundgebungen anlässlich der Prozesse vor dem Amtsgericht Frankfurt.

Ziel ist offenbar, möglichst viele von uns mit Verfahren zu überziehen. Skandalös ist auch, dass eine von uns als Rädelsführerin bezichtigt wird. Angesichts des brutalen Polizeivorgehens im Jahr 2020 hatte sie das Gespräch mit der Polizei gesucht, um einen friedlichen Abzug zu gewährleisten. Damals hatten Polizisten Aktivisten, die sich auf den Heimweg machen wollten, mit roher Gewalt aus der Bahn gezerrt und auf sie eingetreten. Obgleich das auf Aufnahmen der »Hessenschau« und des »Medienkollektivs Frankfurt« deutlich zu sehen ist, hat es gegen diese Beamten kein einziges Ermittlungsverfahren gegeben. Wir werden nicht akzeptieren, dass sich die Repression gegen einzelne von uns richtet. Solidarität ist unsere Waffe!

Christoph Brandt ist Aktivist von »Riseup for Solidarity«

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