Rede von Esther Bejarano Unterlüß am 07.09.2019
„Es gibt nichts Besseres, als den Krieg zu verraten.“ Ludwig Baumann
Liebe Freundinnen und Freunde,
ihr da draußen in der Heide, ihr die ihr nicht zulassen wollt, dass noch mehr Waffen, noch mehr Menschen in Kriegs- und Krisengebieten töten oder vertreiben, ich grüße euch.
Während meiner Schulzeit habe ich das Gedicht „Abseits“ von Theodor Storm (von 1817 bis 1888) auswendig gelernt.
„Es ist so still. Die Heide liegt im warmen Mittagssonnenstrahle“. Die letzte Zeile, so erinnere ich mich, lautet „Kein Klang der aufgeregten Zeit drang noch in diese Einsamkeit“. Der Dichter Storm hat das Ende des Heideidylls nicht mehr erlebt. Seit 1899 hat sich die Rüstungsindustrie dort breit gemacht, produzierte Waffen für den 1. Weltkrieg und für den 2. Weltkrieg. Todbringende Waffen. Todbringende Munition. Idyllisch klangen nur noch die Namen der Orte der Vernichtung. Tannenberg und Großsothrieth (Anmerkung: gemeint ist Altensothrieth). Die todbringenden Waffen mussten Zwangsarbeiter produzieren, Kriegsgefangene und KZ- Häftlinge aus Auschwitz. Rheinmetall hat mehr als 5000 KZ-Insassen als Zwangsarbeiterinnen beschäftigt, Juden wie Nichtjuden.
Neben dem KZ-Außenlager Tannenberg gab es noch 20 weitere Zwangsarbeite- rInnenlager in Unterlüß. 4200 ZwangsarbeiterInnen, die fast alle direkt oder indirekt für Rheinmetall arbeiten mussten, standen 2500 EinwohnerInnen gegenüber. In Unterlüß gibt es bisher keine Gedenkstätte, keinen Ort der Erinnerung und Mahnung. Das wollt ihr ändern. Ihr geht den Weg der Erinnerung. Ihr habt aufgeklärt. Ihr habt nach den Spuren der Frauen und Männer gesucht, die hier Zwangsarbeit leisten mussten. Ihr habt nach den Wegen gesucht, über die sie täglich getrieben wurden, nur Holzpantoffeln an den Füßen, in grausamer Kälte, hungrig, hungrige Müt- ter, denen die Babys entrissen wurden, dem Hungertod preisgegeben. Die Friedhöfe zeugen davon. Ihr habt diese Gräber besucht und der Ermordeten gedacht. Und dann am 13. April 1945, als die SS-Bewacher die Flucht ergriffen hatten, und 500 gefangene Frauen das Lager am frühen Morgen verlassen wollten. Wer hat die Ärmsten dann in das KZ Bergen-Belsen gebracht? Etwa 300 dieser Frauen starben dort noch in den letzten Kriegstagen. Und die Verdrängung der Schuld und der Aufarbeitung der NS-Zeit hat hier auch wieder funktioniert. Ohne euer Eingreifen, ohne die mü- hevolle Aufklärungsarbeit der Antifaschistinnen und Antifaschisten ist wenig passiert.
Aber trotz alledem, der Krieg ist nach wie vor das Geschäftsmodell von Rheinmetall. Ab 1951 begann alles von neuem. Der Rüstungskonzern, der so viel todbringende Erfahrung hatte, wurde im Kalten Krieg wieder ge- braucht. Sein Geschäft mit dem Tod liegt gut versteckt in der dünn besiedelten Heide. Truppenübungsplätze, Schießplätze, alles inklusive. Bomben, Waffen für Kriegsschiffe. Dazu tödliche Munition aus Unterlüß. Ein Milliardengeschäft mit Waffen, mit Panzern, mit Munition, todbrin- gend weltweit, in Syrien, im Jemen, Kurdistan, geliefert für die Ara- bischen Emirate für ihren Krieg. Allein seit 2015 sind durch Waffenlieferungen in Krisengebieten wie Jemen 18.000 getötete Zivilpersonen, 85.000 verhungerte tote Kinder zu beklagen. Nun sagt die neue zuständige Ministerin, der Verteidigungshaushalt muss weiter ansteigen. Aber Experten entgegnen, das ist sicherheitspolitisch unnötig und abenteuerlich. So löst man Rüstungswettläufe aus, schafft aber nicht mehr Sicherheit. Deutschland befeuert diese Kriege dadurch, dass die Waffenproduktion von Rheinmetall gestärkt und solche Konzerne mit Ausfuhrlizenzen praktisch subventioniert werden. Rheinmetall, der Rüstungskonzern, der ab 1986 mit Steuergeldern des Landes Niedersachsen zusätzlich das Landestechnolo- giezentrum Nord (TNZ) für militärische Forschung errichtet hat, (die auch zivil nutzbar sein sollte), stellt sich dar als Technologiekonzern für Mobilität und Sicherheit. Kein Wort zu der Waffenproduktion.
Ihr sagt, Krieg macht Flucht. Und ihr fordert, Schluss mit der Kriegspolitik und der Rüstungsproduktion. Ihr habt die Waffenproduktion blockiert und ihr demonstriert für eine friedliche und gerechte Welt.
Ihr wisst, ich habe die Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück und die Todesmärsche 1945 überlebt. Beim Siemens-Konzern musste ich mit vielen anderen schwere Zwangsarbeit leisten. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dass die Erfahrung meiner Generation in Vergessenheit gerät. Dann wären alle Opfer des Faschismus und des Krieges, alles, was wir erlitten haben, umsonst gewesen. Aber ihr seid da. Wir bauen auf euch. Ich vertraue euch, liebe Freundinnen und Freunde. Eine bessere Welt ist möglich.
Eure Esther Bejarano
Rede von Esther Bejarano Unterlüß am 07.09.2019